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Rhodos Herbst 2016

Ein Bericht von Dr. Melanie Stehle | Tierärztin

Jeder Einsatz beginnt lange vor dem ersten Schnitt. Wochen zuvor werden Termine gelegt, Mengen an Operationsequipment kalkuliert und bestellt, sortiert, registriert und am Ende alles wieder entsprechend der Bedürfnisse der einzelnen Projekte erneut auf den Weg geschickt. Ein ewiger Kreislauf, der mich oft für mehrere Stunden zwischen Kartonbergen verschwinden lässt. Seit einiger Zeit habe ich zwar Verstärkung, aber mein fünfjähriger Sohn hat beim Einräumen manchmal sehr kreative Ideen, die mich oft schmunzeln lassen, aber wir dadurch nicht immer schneller fertig werden. In diesem Spätsommer sollte uns unser Rhodosprojekt logistisch in Anspruch nehmen. Ich hatte die ehrenvolle Aufgabe, die ersten zwei Wochen des Kastrationsprojektes zu übernehmen, gefolgt von Antonia und Nina, so dass Equipment für insgesamt zweieinhalb Monate auf Rhodos zur Verfügung stehen sollte.

So schleppe ich also die zig Koffer nicht nur die Treppe meiner Apotheke hinunter, sondern gleich weiter in den Kofferraum, in die S-Bahn, in den Flughafen, auf das Laufband...

Ich beobachte Dörte. Ich sehe was, was sie nicht sieht. Was sie nicht sehen kann, was eigentlich auch verboten ist. Es schlägt den Verstand aus. Es sorgt dafür, dass die streichelnde Hand immer eine Sekunde länger über seinen Kopf fährt, dass sein klägliches Miauen einen fragenden Blick zu mir wirft. Sein Körper ist geschwächt vom gnadenlosen Kampf auf der Straße, vom auszehrenden Durchfall, von völlig vereiterten Augen. Sein Klagen geht uns beiden durch Mark und Bein. "Nein, Dörte", höre ich mich sagen, es ist verboten. Nicht verlieben.

Auf Rhodos angekommen, ist alles auf den zweiten Blick einfacher. Auf den ersten allerdings nicht, da der Flughafen Rhodos keine Koffer-Trolleys bereitstellt. Somit bleibt mir nichts anderes übrig, als 150 kg Gepäck in kleinen Abschnitten Richtung Flughafenausgang zu schieben. Doch Georgos, gute Seele und Tierpfleger des Tierheims, scheint mich schon aus der Ferne erkannt zu haben. Da hält ihn auch keine Sicherheitsschleuse an der Zollabfertigung zurück. Er übernimmt die Koffer und sie sehen aus, als wären sie leer. Soviel dazu.

Was glauben Sie, was ich an diesem Abend noch mache? Richtig, ich packe die Koffer wieder aus! Sie waren natürlich nicht leer. Ich weiß nicht, warum ich meinen Bericht mit einigen, spaßigen Formulierungen beginne, denn spätestens in dem Moment, als ich die Schwelle des Tierheims betrete, vergeht mir das Lachen. Es sind noch mehr Zwinger gebaut worden. Es sind noch mehr Hunde eingesperrt worden. Es ist noch lauter als beim letzten Einsatz und ein Teil der guten Mitarbeiter ist nicht mehr zur Arbeit im Tierheim erschienen.

Thomas und Gregor haben für diesen Weihnachtsreport einen Artikel verfasst, der "Tierheime im Ausland töten?" (Link) heißt. Ich war skeptisch, ob der Artikel veröffentlicht werden sollte, aber viele der beschriebenen Kritikpunkte springen mich hier förmlich an.
Es legt sich eine Gänsehaut über meinen Körper. Eine Gänsehaut, die mich elektrisiert, die mich motiviert und die mich anspornen wird, in den nächsten 13 Tagen alles zu geben. Ich werde nicht eher ruhen, bis die letzte Katze und der letzte Hund kastriert sind.

Ich schließe die Augen, glaube fest an unsere Mission und betrete den OP, an den ich eigentlich nur gute Erinnerungen habe. Klein präsentiert er sich, trotzdem haben hier beim letzten Einsatz Antonia, Thomas und ich in 13 Tagen 919 Tiere kastriert. An diese Zahlen in so kurzer Zeit werden wir nicht anschließen können, aber dafür ist der Tierärztepool dieses Mal nicht nur knapp zwei Wochen hier, sondern fast drei Monate. Ein riesiges Projekt, welches der Verein "Flying Cats e.V." auf die Beine gestellt hat. Das Tierheim, in dem wir arbeiten, stellt lediglich den OP-Raum zur Verfügung. Eine perfekte und absolut akribische Vorbereitung legte den Grundstein für diese Aktion. Endlich ein Exempel statuieren. Endlich zeigen, dass es möglich ist. Endlich großflächige Erfolge präsentieren. Endlich die überzeugen, die das Einsperren für die einzige Möglichkeit eines guten Tierschutzes halten.

Wir beginnen am nächsten Tag. Dörte fiebert ebenfalls mit mir mit. Sie ist eine weitere Kollegin, die die Vorstellungsprozedur beim Tierärztepool erfolgreich bestanden hat. Sie besuchte uns zu einem Kennenlern-Einsatz auf Kreta und ist verrückt genug, sich uns anschließen zu wollen. Thomas´ Pläne sind ehrgeizig, aber konkret. Er möchte noch mehr Tierärzte für noch mehr Kastrationen und die medizinische Betreuung für unseren Verein gewinnen.

Wie Recht er hat, sehen wir in den nächsten Tagen. "Sehen" ist hierbei das Stichwort, was mir zusetzt. Vielen kleinen Katzenbabys muss ich die Augen entfernen, weil der Katzenschnupfen sie dahingerafft hat. Keine Betreuung an der Mülltonne, keine Impfung, keine Abwehrkräfte, kein anständiges Futter und die Zwerge erkranken. Meine Gedanken wandern ab und ich sehe die kleinen Geschöpfe ohne die Fürsorge der Mutter... Es legt sich eine zweite Motivationsgänsehaut über meinen Körper. Mütter sind eben so.
An diesem Tag arbeiten wir 13 Stunden ohne nennenswerte Pause.

Die restlichen Tage liefen so ab, wie wir es kennen. Morgens aufstehen, die Strapazen der letzten Nacht mit einem Kaffee hinunterspülen, wie schlafwandelnd den Weg zum Auto und zum Tierheim suchen, um beim Betreten des OP's hellwach zu sein.
Dann werden zuerst die Intensivpatienten mit einer Visite bedacht - bis zu neun Tiere - um gleichzeitig die Frage aus dem Vorbereitungsraum mit "ja" zu beantworten, ob das erste Tier für die Kastration in Narkose gelegt werden kann. Ab jetzt heißt es Konzentration.
In den nächsten 10-15 Stunden ja keine Schwäche zeigen, nie unachtsam werden, alle Schnitte und Knoten müssen konzentriert durchgeführt werden, schließlich geht es um unschuldige Leben. Zwischendurch immer wieder Behandlungen oder sogar Notfälle, immer wieder Fragen beantworten, immer wieder Ratschläge geben. Dörte ist eine perfekte Assistentin und entwickelt die gleiche Leidenschaft, die uns alle umgibt. Es ist nicht leicht, aus den Räumen einer deutschen Praxis herauszutreten, um in einem 10 qm Raum bis zu 50 Tiere am Tag in Narkose zu legen und zu operieren. Zeit für Pausen gibt es nicht, man ist froh, wenn man sich zwischendurch irgendetwas Essbares in den Mund schieben kann. Danke hierbei an die Köchinnen, die unsere Arbeit mit kulinarischen Hochgenüssen entlohnten.

Konzentriert arbeiten heißt auch, sich nicht zu sehr von Gefühlen und Emotionen ablenken zu lassen. Das ist oft der schwierigste Teil. Meine Gedanken wandern immer wieder zu der Kinderstube nebenan, in der die süßesten Fellbündel nie wieder das Licht der Sonne sehen werden. Alle Augenoperationen sind zwar gut verlaufen, aber was für ein Leid hätte man verhindern können, wenn wir eher hier gewesen wären oder wenn wir die Chance bekommen hätten, die Population zu impfen und für einen besseren Gesundheitszustand zu sorgen? Jetzt sind sie blind und mich belastet dies sehr. Dörte auch. Ich sehe es an ihrer Art, die Zwerge zu behandeln. Ich beobachte Dörte. Ich sehe was, was sie nicht sieht. Was sie nicht sehen kann, was eigentlich auch verboten ist. Es schlägt den Verstand aus. Es sorgt dafür, dass die streichelnde Hand immer eine Sekunde länger über seinen Kopf fährt, dass sein klägliches Miauen einen fragenden Blick zu mir wirft. Sein Körper ist geschwächt vom gnadenlosen Kampf auf der Straße, vom auszehrenden Durchfall, von völlig vereiterten Augen. Sein Klagen geht uns beiden durch Mark und Bein. "Nein, Dörte", höre ich mich sagen, es ist verboten. Nicht verlieben. Dörte durchlebt die gleichen emotionalen Talfahrten und Höhenflüge wie wir alle. Ihr sind die einzelnen Schicksale nicht gleichgültig - das treibt auch bei mir ein Lächeln und gleichzeitig Tränen in die Augen, denn es zeigt, dass ihr Herz für die gleiche Sache schlägt und wir mit ihr im Team einen Schritt weiter sind, die Welt ein wenig besser zu machen! Danke, liebe Dörte für unsere tolle Zeit auf Rhodos und ich freue mich, Dich als neue Tierärztin beim Tierärztepool begrüßen zu dürfen.

Partner

  • Dieses Projekt wird finanziert von:
  •   Flying cats e.V.
  • IBAN: DE19250501800910122920<
  • BIC: SPKHDE2HXXX

Helfen

Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!

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In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an   jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.

In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:

  Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer

  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de